Einführung in das Autogene Training
Einführung
Das autogene Training (AT) wurde in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts vom Berliner Nervenarzt Johannes Heinrich Schultz aus der Hypnose entwickelt. Aus dem passiven Patienten, der sich hypnotisieren ließ, sollte ein selbstbestimmter Klient werden, der autosuggestiv seine Gesundheitsförderung in die Hand nimmt.
Ursprünglich als rein psychotherapeutische Methode konzipiert und auch als solche anerkannt, wird das autogene Training heute vorwiegend bei gesunden Menschen zur Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt.
Es setzt sich aus drei Stufen zusammen, der körperorientierten Grundstufe, der geistig-seelisch orientierten Mittelstufe und der tiefenpsychologisch bzw. transzendental orientierten Oberstufe. Während die Unterstufe ein reines Entspannungsverfahren ist, dient die Mittelstufe darauf aufbauend der gezielten Problembewältigung. Die Oberstufe wird oft als “Yoga des Westens” bezeichnet, da Yoga Schultz eindeutig als Inspirationsquelle diente, die Oberstufe lässt sich daher auch ideal mit der Meditation kombinieren.
Rahmenbedingungen
Was die Umgebung, die Kleidung, Ort und Zeit des Übens angeht, gilt für das autogene Training dasselbe wie für die progressive Muskelentspannung”. Zur Körperhaltung hingegen gibt es für das AT eigene Vorgaben. Zwar kann es ggf. auch im Stehen durchgeführt werden, für eine vollständige Erfahrung empfiehlt sich jedoch eine der folgenden Haltungen:
Die Lehnstuhlhaltung: Für diese ideale Übungshaltung benötigen Sie einen Lehnstuhl, also einen bequemen Sessel mit hoher Lehne für den Kopf und Armlehnen. Setzen Sie sich bequem hin, die Beine sind leicht auseinander, so dass die Knie sich nicht berühren. Die Füße sind leicht nach außen gedreht und berühren sich ebenfalls nicht. Auch die Finger sollten sich nicht berühren. Der Kopf ist bequem angelehnt, die Schultern hängen entspannt herunter. Kurz: Der ganze Körper ist so locker und bequem wie möglich gelagert.
Die Droschkenkutscherhaltung: Für den weitaus häufigeren Fall, dass kein Lehnstuhl zur Verfügung steht, verwenden wir die Droschkenkutscherhaltung. Setzen Sie sich zunächst aufrecht auf ein beliebiges Sitzmöbel und rutschen Sie dann ca. 10cm vor. Die Beine sind etwa schulterbreit auseinander, die Knie berühren sich nicht und die Füße sind fest auf dem Boden. Lassen Sie nun den Oberkörper nach vorn sinken, so dass die Ellenbogen auf Hüfthöhe hängen. Legen Sie nun die Unterarme bequem auf den Oberschenkeln ab ohne sich abzustützen. Die Hände hängen locker herunter und berühren sich nicht. Lassen Sie den Kopf auf die Brust sinken. Die Position sollte für Sie bequem sein, passen Sie sie ggf. an Ihre Bedürfnisse an oder nehmen Sie Kissen zu Hilfe, wenn es irgendwo zwickt.
Liegen: Sie können das autogene Training auch im Liegen durchführen, die Liegeposition ist dabei die gleiche wie bei der Muskelentspannung beschrieben: Bequem auf dem Rücken, ggf. mit Kissen oder Rollen unterstützt.
Die Grundstufe – körperorientierte Entspannung
Die Grundstufe ist das eigentliche, reine Entspannungsverfahren des autogenen Trainings und vollkommen körperorientiert. Sie kann jederzeit an jedem Ort von jedem Menschen durchgeführt werden. Daher werden wir uns hier schwerpunktmäßig die Übungen der Grundstufe im Detail ansehen.
1. Die Ruhetönung
Das Hauptziel der Grundstufe des autogenen Trainings ist, wie bei allen Entspannungsverfahren, Ruhe im Menschen zu verbreiten. Zu Beginn des Trainings wollen wir daher immer eine grundlegende Ruhe-Tönung anstreben.
Dazu verwenden wir die Formel: “Ich bin ruhig, ganz ruhig”. Diese wird als Vorformel bezeichnet, weil sie den jeweiligen Übungen vorgeschaltet ist. Sie hat zudem den Zweck, dass sie durch die regelmäßige Verknüpfung mit der anschließenden Übung später auf dem Wege der klassischen Konditionierung Ruhe und Entspannung allein durch das mentale oder tatsächliche Vorsprechen erzeugen kann.
Es ist daher wichtig, vor jeder Übung damit zu beginnen, sich vom Alltag und der Umgebung zu lösen und in einen grundsätzlichen Ruhezustand zu kommen. Wir erreichen das, indem wir uns geistig an einen friedlichen und ruhigen Ort begeben oder wertfrei für einige Minuten die Prozesse in unserem Körper beobachten, unsere Gedanken einfach vorüberziehen lassen und uns dabei immer wieder, laut oder mental die Vorformel: “Ich bin ruhig, ganz ruhig” vorsagen.
Diese Übung sollte nicht länger als 1-2 Minuten dauern. Auch alle folgenden Übungen sollten besonders am Anfang nur 1-2 Minuten lang durchgeführt und lieber häufiger wiederholt werden. Da beim autogenen Training der Übungsleiter abgesehen von den anfänglichen Instruktionen und Probeübungen nicht ins Geschehen eingreift, denn schließlich handelt es sich ja um eine Auto- also Selbst-Hypnose, ist es hilfreich sich seine “innere Uhr” auf eine Zeitspanne von 1-2 Minuten für jede Übung zu stellen. Dabei genügt es, diese Zeit ungefähr einzuhalten, denn jeder hat seinen eigenen Rhythmus.
2. Die Schwere-Übung
Bei dieser Übung wollen wir die Muskeln des Bewegungsapparates entspannen. Wir beginnen genau wie bei der progressiven Muskelentspannung mit der dominanten oder “ich-nahen” Hand. Das kann unter Umständen die andere Hand sein, als die mit der Sie schreiben. Probieren Sie es ruhig aus, indem Sie probehalber eine Hand wählen und sehen ob tatsächlich diese Hand oder doch die andere auf die Übung zuerst mit einem Schweregefühl reagiert. Beginnen Sie aber, sobald Sie sich für eine Hand entschieden haben, immer mit derselben. Es ist wichtig für langfristige Erfolge, dass der Ablauf der Übungen immer gleich ist. Die Formel für diese Übung lautet:
“Der rechte Arm ist ganz schwer.” bzw.: “Der linke Arm ist ganz schwer.” Je nachdem mit welcher Hand Sie beginnen. Sprechen Sie sich diesen Satz innerlich langsam und betont mehrere Male vor und achten Sie sanft auf die Empfindungen Ihres Körpers. Wichtig ist, nichts erzwingen zu wollen. Eine zu große Leistungsorientierung ist kontraproduktiv. Gedanken, die sich einschleichen werden ziehen gelassen, weder Ärger über sie noch irgendeine andere Form der Aufmerksamkeit ist angebracht. Führen Sie Ihre Konzentration sanft zur Formel zurück und wiederholen Sie sie nochmals.
Beachten Sie bitte die genaue Formulierung: “Der rechte Arm ist ganz schwer.” Wir konzentrieren uns auf den aktuellen Zustand, daher darf das ist nicht durch ein wird ersetzt werden.
Nach einer Weile des Übens überträgt sich das Schweregefühl auch auf den anderen Arm. Man nennt dies Transfer. Nach etwa 10 Tagen des Übens erfolgt dann nach und nach die Generalisierung, das Schweregefühl breitet sich auf den ganzen Körper aus. Immer wenn Sie einen Transfer oder später die Generalisierung wahrnehmen, passen Sie die Formel Ihrer Empfindung entsprechend an. Also: “Beide Arme sind ganz schwer.” Oder “Ich bin ganz schwer.” Fahren Sie auf diese Weise für die Übungsdauer von 1-2 Minuten fort.
Wenn Ihre Konzentration gestört wird, sprechen Sie sich die Vorformel zur Ruhetönung vor: “Ich bin ruhig, ganz ruhig”. Wenn das nichts hilft, können Sie das Training auch frühzeitig beenden. Wenn Sie das Training beenden, egal ob die Übung erfolgreich war oder nicht, gehen Sie weiter zu Punkt 8, dem Zurücknehmen. Ansonsten fahren Sie fort mit der Wärmeübung.
3. Die Wärme-Übung
Die Wärmeübung folgt im Anschluss an die Schwere-Übung und ist prinzipiell gleich aufgebaut. Sie sollten sie erst hinzufügen, wenn Sie bei der Schwere-Übung eine schnelle Generalisierung erreicht haben (also etwa innerhalb einer Minute), was bis zu 3 Wochen dauern kann, in der Regel aber nach 10 Übungstagen der Fall ist. Bei vielen Praktizierenden kommt es zu diesem Zeitpunkt auch schon zu spontanen Wärmeempfindungen. Die Formel für diese Übung lautet:
“Der rechte (linke) Arm ist ganz warm.”
Beginnen Sie mit der Schwere-Formel und fügen Sie dann die Wärme-Formel hinzu:
“Der rechte (linke) Arm ist ganz schwer und ganz warm.”
Auch hier erfolgen mit der Zeit ein Transfer und dann eine Generalisierung. Passen Sie die Formel entsprechend an, z.B.: “Ich bin ganz schwer und meine Arme sind warm.” Oder: “Ich bin ganz schwer und ganz warm.”
Die Schwere- und die Wärme-Übung bilden die Grundlage des autogenen Trainings. Wenn Sie diese beiden erst einmal beherrschen, werden Sie die weiteren Übungen schnell integrieren können.
Wenn Sie das Training an dieser Stelle beenden, gehen Sie weiter zu Punkt 8, dem Zurücknehmen. Ansonsten fahren Sie fort mit der Herz-Übung.
Beachten Sie bitte: Bei manchen Personen kann die Wärme-Übung den unangenehmen Nebeneffekt haben, dass Herz und Kreislauf zu stark reagieren. Wenn Sie nach dem Training regelmäßig Benommenheit, Schwindel, Leere im Kopf oder den Anflug einer Ohnmacht verspüren, müssen Sie das Training unbedingt abbrechen.
4. Die Herz-Übung
Bei dieser Übung lautet die Formel: “Mein Herz schlägt ganz ruhig und kräftig.”
Sie können diese Formel aber variieren, falls es für Sie unangenehm ist, Ihr Herz kräftig schlagend zu empfinden, so sagen Sie: “Mein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig.” Ist Ihnen auch das “schlägt” eine zu kräftige Formulierung so ersetzen Sie es durch ein “geht”.
Im Gegensatz zu den vorhergehenden Übungen wollen wir hier nicht einen Zustand herbeiführen, sondern überlassen uns dem passiven Beobachten eines Zustands um dadurch die Entspannung noch zu vertiefen.
Einige Personen empfinden die Herz-Übung als unangenehm. Sie kann teilweise diffuse Angstzustände auslösen, zu Schmerzen an der Herzspitze führen oder andere unerwünschte Nebenwirkungen haben. In diesem Fall kann die Übung auch vorübergehend oder ganz ausgelassen werden. Schließen Sie in diesem Fall die Atemübung direkt an die Schwere- und Wärme-Übung an.
Wenn Sie das Training an dieser Stelle beenden, gehen Sie weiter zu Punkt 8, dem Zurücknehmen.
5. Die Atem-Übung
Gemeinsam mit der Herz-Übung wird diese Übung zu einer Rhythmusübung, in der das passive Sich-Überlassen im Vordergrund steht. Wir konzentrieren uns auf die Atmung, die von selbst kommt und geht. Dabei ist ein Eingreifen in die Atmung zu vermeiden.
Die Formel, die sich am besten bewährt hat, lautet daher: “Es atmet mich.”
Konzentrieren Sie sich darauf, Ihre Atmung ganz natürlich fließen zu lassen, ohne sie zu beeinflussen. Sie können diese Übung durch die Vorstellung einer passenden, rhythmischen Bewegung unterstützen, am einfachsten indem Sie sich auf das Heben und Senken Ihrer Bauchdecke konzentrieren. Oder Sie stellen sich eine Pendel- oder Wellenbewegung vor.
Sollten Sie unter bronchialen Erkrankungen leiden, sollte die Formel entsprechend angepasst werden. Entwickeln Sie dann eine Variante, die Ihren persönlichen Bedürfnissen gerecht wird, z.B.: “Mein Atem strömt leicht und warm aus” bei Asthma-Patienten.
Wenn Sie das Training an dieser Stelle beenden, gehen Sie weiter zu Punkt 8, dem Zurücknehmen.
6. Die Sonnengeflechts-Übung
Das Sonnengeflecht ist ein bedeutendes Nervenknäuel, das sich etwa im Zentrum des Körpers befindet und mit allen inneren Organen des Bauchraumes verbunden ist. Wenn Ihnen dieser Begriff zu abstrakt ist, konzentrieren Sie sich stattdessen auf Ihren Leib als Ganzes. Wir wollen hier ein strömendes Wärmeerlebnis erzeugen, das sich pulsierend ausbreitet. Es ist vergleichbar mit dem Gefühl eines kleinen Heizkissens oder der Hand auf dem Bauch oder auch dem Gefühl direkt nach dem Trinken eines Schlucks warmen Tees. Diese Übung sollte erst angeschlossen werden, wenn Schwere, Wärme und ruhige Atmung sich schnell und leicht einstellen, was in der Regel nach einer bis sechs Wochen Übungsdauer der Fall ist.
Die Formel lautet: “Mein Sonnengeflecht (Leib) ist strömend warm.”
In aller Regel erfordert diese Übung einiges an Zeit bevor sich spürbare Ergebnisse einstellen. Die Wärme hält dann aber länger an als die in Armen und Beinen bei der zweiten Übung und ist sehr wohltuend. Unter Umständen bemerken Sie die Wärme im Leib auch erst während der Durchführung der nun anschließenden sechsten Übung.
Wenn Sie das Training an dieser Stelle beenden, gehen Sie weiter zu Punkt 8, dem Zurücknehmen.
7. Die Stirnkühle
Die sechste Übung ist darauf ausgerichtet, die Entspannung noch weiter zu vertiefen, indem Sie uns einen “kühlen Kopf” bewahren lässt. Sie wirkt genauso beruhigend wie eine kühle Kompresse, die auf den Kopf gelegt wird. Sie können diese Vorstellung ruhig unterstützend verwenden.
Die Formel lautet: “Meine Stirn ist angenehm kühl.”
Oder: “Meine Stirn ist ein wenig kühl.”
Bitte verwechseln Sie kühl nicht mit kalt, Ihre Stirn soll nicht kalt werden, das kann durchaus negative Effekte auf den Kreislauf haben.
Nach dieser letzten Übung schließt sich in jedem Fall das Zurücknehmen an.
8. Das Zurücknehmen
Das Zurücknehmen ist ein Teil des Trainings von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Selbst wenn Sie das Gefühl haben, nach der ersten Übungseinheit noch gar nicht besonders tief entspannt oder versunken zu sein, ist es wichtig, dass Ihnen dieser Teil des Trainings von Anfang an in Fleisch und Blut übergeht und niemals weggelassen wird.
Die Rückkehr zu einem normalen Aktivierungsniveau sollte auch immer gleich ablaufen. Unsere Formel lautet daher: “Arme fest! Tief atmen! Augen auf!”
Zuerst spannen Sie kräftig Arme und auch Beine an. Dann nehmen Sie zwei tiefe Atemzüge und öffnen schließlich die Augen. Auch hier kommt es zur Generalisierung, das Gefühl der Frische und Munterkeit breitet sich im ganzen Körper aus. Sie dürfen das Zurücknehmen natürlich weglassen, wenn Sie das autogene Training zum Einschlafen durchgeführt haben.
9. Zusammenfassende Formel
Wenn Sie die einzelnen Übungen hinreichend lange geübt haben, kommen Sie an einen Punkt, an dem Sie alle Übungen zu einer einzigen Formel zusammenfassen können, die dann in eineinhalb Minuten den gleichen Effekt umfassender Entspannung und Ruhe erzeugt, wie zuvor die vollständigen Trainingsphasen.
Diese Formel, inklusive Ruhetönung und Zurücknehmen, lautet wie folgt:
“Ich bin ruhig, ganz ruhig.
Ich bin ganz schwer…
Und warm.
Mein Herz schlägt ruhig und kräftig.
Die Atmung ist ganz ruhig und gleichmäßig.
Mein Sonnengeflecht (Leib) ist strömend warm.
Die Stirn ist angenehm kühl.
Arme fest! Tief atmen! Augen auf!”
Wenn Sie nach einer weiteren Zeit intensiven Übens soweit sind, dass sich alle angestrebten Zustände der Grundstufe nahezu gleichzeitig einstellen, kann man die Formel noch weiter verkürzen:
“Ruhe – Schwere – Wärme.
Herz ruhig – Atmung ruhig.
Sonnengeflecht (Leib) warm –Stirn kühl.
Arme fest! Tief atmen! Augen auf!”
Üben Sie das autogene Training am besten drei Mal täglich, morgens, mittags und abends. Zu jedem Kurs gehört immer auch ein Übungsprotokoll, dass aber auch unabhängig von einem Kurs sehr sinnvoll ist. Dort wird festgehalten, welche Erfahrungen Sie bei den Übungen gemacht haben. Dabei schreiben Sie einfach spontan Ihre Eindrücke auf. Das hilft Ihnen, den Überblick über Ihre Fortschritte zu behalten und möglicherweise auftretende Schwierigkeiten mit Hilfe des Kursleiters zu überwinden.